Volksbühne e.V. –
Von den Anfängen bis in die Gegenwart
Beginn der Volksbühnenbewegung
"Kultur für alle!" Das ist bis heute das Ziel der Volksbühnen-Bewegung.
Und schon die ersten Volksbühnen, die sich Ende des 19. Jahrhunderts gründeten,
forderten: Der Theaterbesuch sollte für Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten erschwinglich sein.
So setzten sich die Volksbühnen gegen Zensur ein und unterstützten die Aufführung der lebens- und alltagsnahen
Theaterstücke des Naturalismus. Die Berliner Volksbühne baute 1914 sogar ein eigenes Theater für diese Zwecke:
Die noch heute erhaltene Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Die ersten Volksbühnen entstanden von 1890 bis 1894 in Berlin, Hamburg und Kiel. Junge Intellektuelle und die
Arbeiterbildungsbewegung waren ihre Gründungsväter.
Begonnen hat alles in Berlin. An der Gründungsversammlung am 29. Juli 1890 nahmen 2.000 Menschen teil. Dr. Bruno Wille, an diesem Tag zum 1.
Vorsitzenden gewählt, formulierte die programmatischen Ziele: "Die Kunst
soll dem Volke gehören, nicht aber Privilegium eines Teils der Bevölkerung, einer Gesellschaftsklasse sein." Der Volksbühnengedanke war geboren.
Die Preise waren niedrig. Alle sollten finanziell die Möglichkeit erhalten, die Theater zu besuchen. Neu war, dass die Volksbühnenmitglieder einen festen
Mitgliedsbeitrag zahlten. Die Karten unterschiedlicher Preiskategorien wurden verlost.
Jeder hatte danach die Chance mal vorn oder hinten, mal im Parkett oder im Rang zu sitzen. Dieses Prinzip gilt in modifizierter Form immer noch.
Der Theaterkritiker Julius Bab bezeichnete die Gründung der Volksbühnen als das im soziologischen Sinne wichtigste Theaterereignis des
19. Jahrhunderts. Den freien Zugang der breiten Massen zum Theater und die Tatsache, dass nicht Dichter, Dramaturgen oder Schauspieler die Initiatoren waren, sondern
die Zuschauer, wertete er als das Besondere: "Hier wurde zum ersten Mal Publikum organisiert, und zwar ein ganz neues Publikum, das sich in voraussetzungsloser
Bereitschaft den Wundern des Theaters überlassen wollte." Heute würde man sagen: Mit der Volksbühnenbewegung ist eine große Bürgerinitiative für das Theater entstanden.
Massenorganisation in der Weimarer Republik
In der Weimarer Republik dann hatte die Volksbühnen-Bewegung zeitweise mehr als 500.000 Mitglieder. 1920 gründeten die Vereine schließlich die erste Dachorganisation. Im Zuge der Gleichschaltung
im Nationalsozialismus ab 1933 wurden die Theaterbesucherorganisationen jedoch zerschlagen und ihre Aktivitäten verboten.
Wiedergründung nach 1945
Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg leisteten die rasch wiedergegründeten Vereine einen entscheidenden Beitrag zum Wiederaufbau und zur Neugestaltung der Kulturlandschaft im zerstörten Deutschland.
1948 wurde auch die Dachorganisation der Volksbühnen-Bewegung wiedergegründet.
Die Satzung von 1952 schrieb endgültig fest, dass die Volksbühne "in erster Linie das Theater allen Kreisen der Bevölkerung zugänglich machen und außerdem gute Konzerte und andere Veranstaltungen
zu volkstümlichen Preisen anbieten" solle.
Die Volksbühnen-Bewegung heute
Auch heute noch geht es den rund 54 deutschen Volksbühnen darum, ihren Mitgliedern den Zugang zu Kultur möglichst einfach und erschwinglich zu gestalten.
Geschichte der Karlsruher Volksbühne
Als Entstehungsdatum der Volksbühne Karlsruhe e. V. ist der 19. November 1919 überliefert. Die eigentliche Gründungsversammlung fand am 30. April 1920 statt. Damals war aus dem großherzoglichen Hoftheater das Landestheater geworden, dessen Betreiber anstelle des Hofes nun der Staat, also letztendlich das Volk, war. Zu dieser Zeit hatte das Theater zwar ein Publikum,
jedoch kein Volk hinter sich, da sich nur Begüterte einen Theaterbesuch leisten konnten. Nach Tolstoi sollte das Theater aber nicht nur "eine Anstalt des Amüsements der Reichen" sein. Ziel der Volksbühne war es demnach, eine Gesinnungsgemeinschaft zu bilden, deren Mitglieder das Theater zu erschwinglichen Preisen besuchen konnten. Im Jahre 1920 startete die Volksbühne Karlsruhe e.V.
sogleich mit rund 8.000 Mitgliedern, da sich ihr zu jener Zeit nur Berufsorganisationen und -vereine anschließen konnten, die dieses Mitgliederpotential schon besaßen und einbrachten. Ein starkes Interesse des Volkes an guter Bühnenkunst war durchaus festzustellen, doch war dessen Umsetzung schlicht und einfach von der Höhe der Eintrittspreise abhängig, wie überhaupt Einzelpersonen erst
ab 1924 aufgenommen wurden. Die Volksbühne brachte dem Theater Scharen von Besuchern und diente damit nicht nur ihren Mitgliedern, sondern auch dem Theater. Um bei den Mitgliedern das Gefühl, einer Kulturgemeinschaft anzugehören, zu entwickeln und zu erhalten und das Verständnis für die der Volksbühnenbewegung zugrunde liegende
Idee zu fördern, wurden ab Oktober 1925 monatliche Mitteilungsblätter für die Mitglieder herausgegeben.
Obwohl das System auf Vertrauensleuten in den Betrieben aufgebaut war, welche Mitglieder warben, die Mitgliedsbeiträge kassierten und die Theaterkarten zu günstigen Preisen ausgaben, so dass die Volksbühne Karlsruhe e.V.
ausverkaufte Vorstellungen bewirkte, waren die Anfangsjahre äußerst schwierig. Schon 1921 wurde zwar der Einheitspreis ohne Platznachteile eingeführt, doch mussten die Konzerte mangels Beteiligung wieder eingestellt werden. Das Inflationsjahr 1923 traf auch die Volksbühne hart,
doch konnte der Betrieb statt mit Geld mit Gutscheinen notdürftig aufrechterhalten werden. In diesem Jahr wurde die Geschäftsstelle aus dem bisher benutzten Zimmer im Konzerthaus in einen Raum des Arbeitersekretariats in der Stephanienstraße 74 verlegt.
Im Jahre 1924 war der Mitgliederstand auf nur noch 1.800 abgesunken, was die Existenz der Volksbühne Karlsruhe e.V. ernsthaft gefährdete.
Vermittels einer Satzungsänderung, die nun auch die Aufnahme von Einzelpersonen erlaubte, steuerte man dieser Entwicklung erfolgreich entgegen, so dass die Mitgliederzahl Ende 1925 wieder auf 3.500 gestiegen war.
1926 war wegen der Erhöhung der Eintrittspreise des Theaters wieder ein Mitgliederrückgang zu verzeichnen. 1927 wurde die Platzverteilung im Wechsel eingeführt, die als rollierendes System bis heute existiert. Die Geschäftsstelle zog in die Karlstraße 9 um. Im Januar 1928 wurde die 8. Mitgliederversammlung abgehalten, bei der festgestellt wurde, dass sich die Mitgliederzahl trotz der verbesserten
wirtschaftlicher Lage nicht erhöht hatte. Die Mitglieder wurden daher aufgefordert, verstärkt für den Beitritt zur Volksbühne zu werben. In der Satzung wurde als Zweck der Volksbühne Karlsruhe e.V. formuliert, sie wolle künstlerisch hochstehende Theatervorstellungen zu
billigen Preisen vermitteln sowie durch sonstige geeignete Veranstaltungen die Volksbildung heben.
1929 war dann das Jahr des Aufstiegs, da mit Senkung der Eintrittspreise des Theaters die Mitgliederzahl rasant zunahm: von einem durch hohe Arbeitslosigkeit bedingten Tiefstand mit 2.750 im November 1928 auf 3.200 im Februar 1929. Daraus ergaben sich sofort 3 volle Häuser, Sonderveranstaltungen konnten wieder durchgeführt werden.
Durch den Aufruf zur Mitgliederwerbung besaß die Volksbühne Karlsruhe e.V. im Dezember 1929 3.900 Mitglieder, was einer phantastischen Steigerung von 44,57% in 13 Monaten entsprach.
Das 10-jährige Jubiläum 1929 wurde mit einer Vorstellung des "Lohengrin" von Richard Wagner begangen.
Die wirtschaftliche Situation war zwar 1930 nicht wesentlich verbessert, doch stieg die Zahl der Mitglieder trotzdem weiter auf 4.655 an, so dass 4 Häuser gefüllt werden konnten. Die Zusammenarbeit von Theater und Volksbühne wurde als beispielhaft gut gelobt, und es gab einen künstlerisch und literarisch
hochstehenden Spielplan.
Das Erstarken der Nationalsozialisten machte die Arbeit der Volksbühne Anfang der dreißiger Jahre immer schwieriger. Am 9. November 1933 verfügten die Nationalsozialisten die Gleichschaltung mit der "Deutschen Bühne", die als einzige Besucherorganisation von den Nazis anerkannt wurde.
Aufgrund der politischen Entwicklung in Deutschland wurde auch die Volksbühne Karlsruhe e.V. im Jahre 1933 liquidiert; eine außerordentliche Mitgliederversammlung beschloss daher ihre Auflösung zum Ende der Spielzeit 1932/1933.
Erst im September 1949 konnte eine Neugründung der Volksbühne Karlsruhe e.V. erfolgen. Vorstellungen wurden im Staatstheater und in dem seit 1950 bestehenden Insel-Theater besucht, nach dessen Spielbeginn am 25. Februar 1956 mit "Geschlossene Gesellschaft" von Jean-Paul Sartre auch im Kammertheater. Bei der Generalversammlung des
Jahres 1953 wurde die erfreuliche Feststellung getroffen, dass die Volksbühnenbewegung
in Deutschland wieder im Aufblühen begriffen sei und stetig wachsende Mitgliederzahlen verzeichne.
Unsere Karlsruher Volksbühne konnte sich damit schmücken, mehr Aufführungen anzubieten als jede andere.
Die Parole der Volksbühne "Theater für alle, denn das Theater ist ein Medium der Volksbildung, ein gleichbleibend wichtiger Kulturfaktor" verschaffte uns rund 5.000 Mitglieder und 13 Vorstellungen mit jeweils allein durch die Volksbühne komplett gefüllten Häusern.
Ab den 50er Jahren bot die Volksbühne Karlsruhe e.V. Theater für alle Volksschichten, sie gestattete der Bevölkerung eine sinnvolle Freizeitgestaltung bei kürzer werdender Arbeitszeit. Erfreulicherweise konnte auch eine Zunahme der Jugendlichen unter den Theaterbesuchern
beobachtet werden.
Unsere Tradition als stärkste Besucherorganisation konnte gewahrt werden.
Die 60er Jahre verliefen auf solider finanzieller Basis ohne größere Schwankungen im Mitgliederstand, der zwischen 3.300 und 3.400 lag.
1972 bewirkte das neue Haus des Badischen Staatstheaters eine deutliche Steigerung der Neuanmeldungen von Mitgliedern. Die Volksbühne Karlsruhe e.V. stellte damit ihre echte Teilhaberschaft am Kulturleben der Stadt Karlsruhe und ihres Umlandes
erneut unter Beweis.
1979 feierten wir 60 Jahre Volksbühne Karlsruhe e.V. bzw. 30 Jahre Neugründung der Volksbühne Karlsruhe e.V.
Der damalige Generalintendant Günter Könemann brachte in seinem Grußwort zum Ausdruck, dass unsere Volksbühne in kommerzieller Hinsicht eine nicht zu unterschätzende Stütze des Badischen
Staatstheaters sei.
1989 im Jahr unseres 70-jährigen Bestehens lag der Mitgliederstand zwischen 1.800 und 2.000.
Durch neue Rechtsvorschriften wurde es notwendig, unsere Satzung diesen anzupassen. Die Neufassung wurde am 5.10.1992 beim Amtsgericht Karlsruhe eingetragen.
1992 hatten wir 1.802 Mitglieder, 1994 ging der Mitgliederstand weiter auf 1.642 zurück.
1999 wurde das 80-jährige Bestehen mit einer Festvorstellung der "Zauberflöte" von Mozart im Großen Haus begangen.
Am 1. Juni 2010 erfolgte der kündigungsbedingte Umzug unserer langjährigen Geschäftsstelle von der Amalienstraße in die Schillerstraße 23, wo sie sich noch heute
befindet.
Der über 20 Jahre tätige 1.Vorsitzende Wilhelm J. Weber wurde am 14. März 2016 verabschiedet.
Am 28.3.2017 stimmten die Mitglieder über eine neuerlich notwendige Satzungsänderung zur weiteren Erlangung der Gemeinnützigkeit ab.
Durch den Rückgang der Mitgliederzahlen und trotz Werbeaktivitäten, die nicht zu neuen Beitritten führten erhielt die Volksbühne immer weniger Beiträge, was den Geschäftsbetrieb empfindlich beeinträchtigte. Um den Einnahmeausfall aufzufangen waren interne
Restrukturierungsmaßnahmen notwendig. Diese wurden durch den aktuellen Vorstand unter anderem durch eine Reduzierung der Öffnungszeiten der Geschäftsstelle, veränderte Arbeitsabläufe und die ehrenamtliche Übernahme von Teilen der bisherigen hauptamtlichen
Geschäftsführung durch Vorstandsmitglieder erreicht.
Der Bürobetrieb wurde durch die Einstellung von 2 Bürokräften auf 450 € Basis sichergestellt.
Resumée
Wenn auch zum 100-jährigen Bestehen der Volksbühne Karlsruhe e.V. im Jahre 2019 festgestellt werden kann, dass es uns immer wieder gelingt, die Bevölkerung für die Teilnahme am Theaterleben zu begeistern, so bereitet uns seit mehreren Jahren eine Entwicklung Sorge,
von der auch andere Volksbühnen in Deutschland und viele sonstige Vereine betroffen sind: der Mitgliederschwund.
Heute ist die finanzielle Seite kein Hinderungsgrund für einen Theaterbesuch, aber es fehlt an - vor allem jüngeren - Menschen, die den altersbedingten Rückgang wenigstens ausgleichen.
Die Volksbühne Karlsruhe e.V. hat als älteste Volksbühne in Baden derzeit weniger als 1.000 Mitglieder, was für uns alle Anlass sein muss, neue Mitglieder in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis zu werben, um die Zahl wieder zu erhöhen.
Die Grundidee der Volksbühnenbewegung hat nach wie vor ihre Berechtigung, das Theater hat durch sein unmittelbares Erleben einen hohen Kulturwert.
Und die Tatsache, dass das Abonnement das Volksbühnenmitglied nicht nur in klassisch-gängige Stücke führt, sondern ihm auch Gegenwartskunst des Theaters vorstellt, macht eine Mitgliedschaft gerade heute besonders interessant. Das Programmangebot aus Musiktheater,
Ballett und Schauspiel bekommt weiteren Wert dadurch, dass - wie schon seit 100 Jahren - die Eintrittskarte zu einem günstigeren als dem Kassenpreis ohne Anstehen und Warten bei der Geschäftsstelle der Volksbühne Karlsruhe e.V. zu erhalten ist.
100 Jahre Geschichte zeigen auch eindrucksvoll, dass es der Volksbühne Karlsruhe e.V. immer wieder gelungen ist, die Bevölkerung für die Teilnahme am Theaterleben zu begeistern, dies soll auch in Zukunft das Ziel sein.
Was 2019 nach 100 Jahren noch existiert hat sich bewährt: Die Volksbühne Karlsruhe e.V. als Theaterbesucherorganisation, die jedermann einen Theaterbesuch zu moderaten Preisen ermöglicht. Sie wird auch die Zukunft bewältigen.